Beschlussvorschlag:
Der Sozialausschuss beschließt, dem Kreistag zu empfehlen, die Überprüfung der Mietrichtwerte gem. SGB II / XII zur Kenntnis zu nehmen und den Antrag vom 08.05.2019 zurückzuweisen, soweit er sich ansonsten nicht bereits erledigt hat.
Sachverhalt:
Bezug:
Sitzung des Sozialausschusses am 17.05.2018,
TOP 5,
Mietenanalyse – Vorstellung der Ergebnisse
zur Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft nach SGB II / SGB XII
Der
Kreistagsabgeordnete von Klitzing hat mit Schreiben vom 08.05.2019 folgende
Anträge gestellt:
1. Der Landkreis Cloppenburg
möge prüfen, ob die 3 Urteile des Bundessozialgerichts vom Januar dieses Jahres
Auswirkungen auf die gängige Praxis der Leistungsberechnung haben und für den
Fall der Säumnis die entsprechenden Mittel für Nachzahlungen bereitstellen.
2. Der Landkreis möge prüfen,
ob der qualifizierte Mietspiegel den Vorgaben entsprechend realisiert ist.
Vorausschicken
möchte die Kreisverwaltung, dass die Beachtung und Anwendung der Rechtsprechung
der obersten Gerichte stets Grundlage des Verwaltungshandelns der Verwaltung
ist und, dass das Verwaltungshandeln bei Bedarf entsprechend angepasst wird.
Des Weiteren ist einleitend anzuführen, dass die
Mietenanalyse des Landkreises einzig den Zweck hat, Mietrichtwerte für das
Jobcenter und die Sozialämter im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der
Unterkunftskosten zu erhalten. Die
Mietenanalyse ist kein qualifizierter Mietspiegel im Sinne § 558d BGB. Dieser
wird von der Rechtsprechung auch nicht gefordert.
Angemessenheit der Unterkunftskosten: ein
unbestimmter Rechtsbegriff!
hier: Zuständigkeit der Verwaltung
Die gesetzlichen
Bestimmungen zu den Unterkunftskosten (§ 22 SGB II / § 35 SGB XII) enthalten
beide den unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“. Unbestimmte
Rechtsbegriffe sind juristisch auszulegen. Die Auslegung muss die
Verwaltungsbehörde bei der Rechtsanwendung vornehmen. Die Auslegung wird in
einem Rechtsstreit im vollen Umfange gerichtlich überprüft. Den Gerichten steht
dabei die Letztentscheidungskompetenz zu.
Um den unbestimmten
Rechtsbegriff der Angemessenheit auszulegen und die Gleichbehandlung der Fälle
beim Jobcenter sowie den 13 Sozialämtern zu gewährleisten, hat der Landkreis
als zuständiger Träger verbindliche Weisungen („Fachliche Vorgaben“) zu den
Unterkunftskosten verfügt, die insbesondere die sog. Mietrichtwerte umfassen,
welche aufgrund einer Analyse des Mietmarktes ermittelt wurden.
Die Festlegung der
Mietrichtwerte ist ausschließlich eine juristische Auslegung des unbestimmten
Rechtsbegriffes der „Angemessenheit“.
Zuständig für die
Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes und der entsprechenden Weisung des
Landkreises an das Jobcenter und die örtlichen Sozialämter als Geschäft der
laufenden Verwaltung ist der Landrat, als Leiter der Kreisverwaltung. Eine
Zuständigkeit des Kreistages besteht nicht.
Kosten der Unterkunft
Der Landkreis ist
der zuständige Träger für die Kosten der Unterkunft (KdU) nach dem SGB II
(Jobcenter) sowie SGB XII (Sozialämter).
In Fachlichen
Vorgaben regelt der Landkreis für das Jobcenter und die örtlichen Sozialämter
die Angemessenheit der KdU durch sog. Mietrichtwerte, die als „Nichtprüfungsgrenze“
anzuwenden sind. Das bedeutet, bis zum Richtwert werden die KdU ohne weitere
Prüfung anerkannt und bewilligt. Werden KdU über den Richtwerten geltend
gemacht, ist eine Einzelfallprüfung notwendig.
Der Landkreis muss
jährlich rd. 17 Mio. Euro an die Bundesagentur für Arbeit für die vom Jobcenter
bewilligten Unterkunftskosten erstatten (für rd. 4.000 Bedarfsgemeinschaften).
Nach Abzug der Bundesbeteiligung verbleiben jährliche Nettoaufwendungen von rd.
8,4 Mio. €. Hinzu kommen die Unterkunftskosten im Bereich des SGB XII
(Sozialhilfe) und für Asylbewerber.
Zu den Vorschriften
zur Angemessenheit der KdU im SGB II und SGB XII hat sich in den vergangenen
Jahren eine umfassende Rechtsprechung entwickelt. Das BSG forderte von den
Sozialleistungsträgern ein „schlüssiges Konzept“ zur Bestimmung der
Angemessenheitswerte (erstmals mit Urteil vom 18.6.2008, B 14/7b AS 44/06 R).
In weiteren Urteilen hat das BSG ein detailliertes Anforderungs- und
Prüfungsschema zum „schlüssigen Konzept“ entwickelt.
In Zusammenarbeit
mit dem Marktforschungsinstitut GEWOS, Hamburg, hat der Landkreis in
2008 / 2009 erstmals ein Konzept zur Ermittlung von Mietrichtwerten
erstellt.
Im 2014 wurde
erneut eine Mietenanalyse gefertigt. Nunmehr vom Institut „Analyse &
Konzepte“, Hamburg.
Gemeinsam mit dem
Institut „Analyse & Konzepte“ wurde in 2018 eine weitere Mietenanalyse
erstellt. Dabei handelte es sich um eine komplette Neuauflage und nicht nur um
eine Fortschreibung. Die Empfehlungen des Institutes zu den neuen Richtwerten
wurden zum 01.07.2018 in Kraft gesetzt. Die Richtwerte waren dem
Sozialausschuss in der Sitzung am 17.05.2018 vorgestellt worden.
Bei allen
Mietenanalysen erfolgte die Ermittlung der Richtwerte jeweils auf der Grundlage
einer Abfrage der Mietdaten bei allen Vermietern (Vollerhebung! Keine
Stichprobe!).
Die Beachtung der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes und damit Rechtssicherheit für die
Sachbearbeitung hatten und haben oberste Priorität. Um stets auf der Höhe der
aktuellen Rechtsprechung zu sein, arbeitet die Kreisverwaltung mit dem
bundesweit anerkannten Institut „Analyse & Konzepte“ sowie einem Fachanwalt
zusammen.
Vergleichsraum / BSG-Urteile vom 30.01.2019
Mit den Urteilen
vom 30.01.2019 ist das Bundessozialgericht (BSG) in einigen Teilbereichen von
der bisherigen ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung zu den
Vergleichsräumen abgewichen.
Das BSG legt fest,
dass der Vergleichsraum ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten
Person bestimmter, ausreichend großer Raum der Wohnbebauung ist, der aufgrund
räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer
Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich
bildet.
Kritisiert und
verworfen wurde vom BSG die Aufteilung des Kreisgebietes in unterschiedliche
Wohnungsmarkttypen, wenn die Aufteilung ausschließlich anhand des
unterschiedlichen Mietniveaus erfolgte. Diese Methode war zuvor in mehreren
obergerichtlichen Entscheidungen anerkannt worden.
Der Landkreis
Cloppenburg hat sich im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Institut „Analyse
& Konzepte“ an der zuvor geltenden obergerichtlichen Rechtsprechung
orientiert. Aufgrund der Entscheidung des BSG vom 30.01.2019 musste dies jetzt
aufgegeben werden.
Die
Urteilsbegründungen wurden erst im Mai 2019 veröffentlicht. Die Prüfung und
Umsetzung der Urteile konnte erst danach beginnen.
Die Kreisverwaltung
hat in den vergangenen Wochen gemeinsam mit dem Institut „Analyse &
Konzepte“ sowie dem Fachanwalt das Konzept der Mietenanalyse mit folgendem
Ergebnis überarbeitet:
-
Die
bisherige Praxis, aufgrund von unterschiedlichen Mietniveaus verschiedene
Richtwerte in einem Vergleichsraum festzulegen, wird nicht mehr angewandt.
-
Die
Vergleichsräume vom 01.07.2018 wurden entsprechend der BSG-Rechtsprechung neu
festgelegt.
-
Es
werden folgende Vergleichsräume gebildet: Nordkreis, Südkreis, Stadt
Cloppenburg.
-
Das
Institut „Analyse & Konzepte“ wird aufgrund dieser Vorgaben die Auswertung
der in 2018 erhobenen Mietdaten neu durchführen. (Zu den neuen Richtwerten soll in der Sitzung ergänzend vorgetragen
werden).
Bei der Anwendung
der neuen Rechtsprechung des BSG und Überprüfung der Mietrichtwerte aus 2018
ist Folgendes zu beachten:
-
Die
in 2018 erhobenen Mietdaten bleiben Grundlage der Auswertung.
-
Bei
einer Änderung der Mietrichtwerte vom 01.07.2018 ist hinsichtlich der
Rückwirkung die Regelung des § 40 Abs. 3 Ziff. 2 SGB II anzuwenden. Danach
wirkt sich die BSG-Entscheidung bei bestandskräftigen Bewilligungen erst ab dem
30.01.2019 aus. Das bedeutet, höhere Richtwerte können in bestandskräftigen
Verfahren längstens rückwirkend ab dem Datum der Gerichtsentscheidung
nachberechnet werden.
-
Soweit
Richtwerte gesenkt werden, gewährt der Landkreis Bestandsschutz für die Dauer
des ununterbrochenen Leistungsbezuges.
-
Das
BSG fordert von den zuständigen Trägern, die Mietrichtwerten durch ein
schlüssiges Konzept zu ermitteln. Also in einem nachvollziehbaren Verfahren
Mietdaten zu erheben und auszuwerten, um einen Richtwert zu erhalten. Die
Anwendung der Tabellen-Werten des Wohngeldgesetzes zuzüglich
10%-Sicherheitsaufschlag ist nach der Rechtsprechung des BSG nur möglich, wenn
tatsächlich keine anderen Erkenntnismöglichkeiten und –mittel vorhanden sind
und auch nicht mehr eingeholt werden können und deshalb mangels hinreichender
Datengrundlage die Entwicklung eines schlüssigen Konzeptes ausscheidet (BSG,
Urt. v. 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R -). Da die in 2018 erhobenen
Mietdaten vorliegen und ausgewertet werden können, scheidet die Anwendung der
Wohngeldtabelle aus.
-
Mehrausgaben
für den Haushalt 2019 können im Rahmen des Budgets aufgefangen werden.
Finanzierung:
Anlagenverzeichnis:
Antrag vom 08.05.2019