Beschlussvorschlag:
Der Sozialausschuss empfiehlt dem Kreistag zu beschließen, dass die aktuellen politischen Entwicklungen auf Bundes- und Landesebene zur Umsetzung der Istanbul-Konvention durch den neu installierten Runden Tisch „Häusliche Gewalt“ zunächst einmal in ihren Auswirkungen auf die kommunalen Hilfestrukturen evaluiert und begleitet werden, um ggf. über die Notwendigkeit der Implementierung zusätzlicher Angebote, wie z. B. eines Frauenhauses im Landkreis Cloppenburg, zu beraten.
Sachverhalt:
Die
Gruppe Grüne/UWG hat mit Schreiben vom 21.02.2018 den Antrag auf Schaffung
eines Frauenhauses für den Landkreis Cloppenburg mit folgendem
Beschlussvorschlag gestellt:
„Für
den Landkreis Cloppenburg wird ein Frauenhaus geschaffen. Vorzusehen sind
Kapazitäten für mindestens 17 Familien, die neben der räumlichen Ausstattung
eine entsprechende sozialpädagogische Betreuung, hauswirtschaftliche
Unterstützung und tagesbegleitende Betreuung beinhalten.“
Zur
Begründung ihres Antrags bezieht sich die Gruppe Grüne/UWG auf einen Bericht
des NDR vom 18.02.2018, in dem nach dessen Recherche zum Thema Frauenhäuser ein
Fehl von über 2.600 Frauenhausplätzen in Niedersachsen festgestellt und
veröffentlicht worden war. Der Landkreis Cloppenburg ist einer von 9
niedersächsischen Landkreisen, in denen kein Frauenhaus oder eine
Frauenschutzwohnung im Kreisgebiet vorhanden ist.
„Im
Abschlussbericht der Task Force des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen und häuslicher Gewalt (EG-TFV (200806)) wird eine sichere Unterkunft für
Frauen in Frauenhäusern empfohlen, die auf alle Regionen verteilt sind und eine
Familie pro 10.000 Einwohner aufnehmen können.“ [1]
Auf diese Zahlen beziehen sich die Berechnungen im Antrag der Gruppe Grüne/UWG,
wonach bei der gerundeten Anzahl von Einwohnerinnen und Einwohnern von 170.000
im Landkreis Cloppenburg demnach 17 Plätze in einem zu schaffenden Frauenhaus
zur Verfügung stehen sollten.
Der
Deutsche Bundestag hat am 17.07.2017 das Übereinkommen des Europarates zur
Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt
(„Istanbul-Konvention“) unterzeichnet und das „Gesetz zu dem Übereinkommen des
Europarates vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention)“ ist am 01.02.2018 in Kraft
getreten. Das Übereinkommen enthält umfassende Verpflichtungen zur Prävention
und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der
Opfer und zur Bestrafung der Täter.
Mit
dem Inkrafttreten des oben genannten Gesetzes ist das wichtige und aktuelle
Thema häusliche Gewalt erneut in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt.
Das momentan zur Verfügung stehende diesbezügliche Hilfesystem auf Bundes-,
Landes- und Landkreisebene ist in Bezug auf mögliche weitere Bedarfe durchaus
differenziert zu betrachten.
Die Hilfestrukturen für Frauen, die von häuslicher
Gewalt/Partnergewalt betroffen sind, wurden seit Anfang der 2000 Jahre
insbesondere im niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfebereich qualitativ und
quantitativ auf allen Ebenen flächendeckend ausgebaut.
Niedrigschwellige Hilfen/Zivilrecht - ein Überblick
über die wesentlichen Bundes- und
Landesmaßnahmen:
·
2002 Gewaltschutzgesetz
Das am 1.1.2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz schafft eine
klare Rechtsgrundlage: "Wer schlägt, muss gehen" (Gesetz zur
Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen
sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung).
·
2005/2006 Einrichtung der BISS (Beratungs- und
Interventionsstellen bei häusliche Gewalt)
o
Durch das Land Niedersachsen flächendeckend
eingerichtet und gefördert.
·
2013 Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bundesweit
o
Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“
ist 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag erreichbar und mit ausgewiesenen
Fachkräften besetzt. Die Beratung kann in 17 verschiedenen Sprachen erfolgen
und steht sowohl betroffenen Frauen, unterstützenden Personen und Fachkräften
zur Verfügung. Kenntnisse über die jeweils kommunalen Hilfeangebote liegen vor.
Inzwischen haben sich ca. 143.000 Ratsuchende in das Hilfetelefon gewandt.
Landkreis Cloppenburg:
·
1999
Einrichtung des Frauennotrufes angegliedert an den Sozialdienst katholischer
Frauen e. V. in Cloppenburg
·
Ab
dem 01.02 2001 Übernahme der Trägerschaft des Frauennotrufes und der offenen
Frauenberatung durch den Verein „Frauentelefon und Frauennotruf Landkreis
Cloppenburg e. V.“
·
2006
offiziell BISS Cloppenburg-Vechta (Beratungs- und Interventionsstelle gegen
häusliche Gewalt für die Polizeiinspektion Cloppenburg-Vechta in Trägerschaft
des Frauennotrufes e. V.) gefördert vom Land Niedersachsen
·
Ab
01/2018 Übergang des Frauennotrufes und der offenen Frauenberatung und der BISS
in die Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes Kreisverband Cloppenburg e. V.,
Ausweitung der Beratungsmöglichkeiten, Umbenennung der Beratungsstelle in
„Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt“
Die fast 20jährige intensive Beratungs- und
Vernetzungsarbeit des Frauennotrufes bzw. der Frauenberatung bei Bedrohung und
Gewalt haben maßgeblich zu einer Sensibilisierung für das Thema häusliche
Gewalt/Partnergewalt im Landkreis Cloppenburg beigetragen. Die Verankerung der
Hilfemöglichkeiten im öffentlichen Bewusstsein und die konstruktive
Zusammenarbeit und Vernetzung aller mit dem Thema befassten Institutionen und
Beratungsstellen ist im Landkreis Cloppenburg als gut zu bezeichnen. Auch aus
Sicht der betroffene Frauen ist in vielen Fällen eine Sensibilisierung dafür
erreicht worden, dass die Gewalt, die sie durch Partner oder Ex-Ehemann
erleiden, ein Unrecht und strafbar ist und dass es Unterstützungsmöglichkeiten
gibt, um die Gewaltspirale zu durchbrechen.
Die niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfeangebote
(siehe auch Flyer „Hilfe für Frauen bei Bedrohung und Gewalt“, hrsg. von der
Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Cloppenburg in Zusammenarbeit mit
den Gleichstellungsbeauftragten der Städte Delmenhorst und Oldenburg sowie der
Landkreise Ammerland und Wesermarsch) greifen auf kommunaler Ebene so
ineinander, dass gewaltbetroffene Frauen Unterstützung auf vielen Ebenen
erhalten, um sich vor der häuslichen Gewalt zu schützen, bzw. die
Gewaltsituation für sich und ggf. mitbetroffene Kinder beenden zu können. Durch
das Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes und die Option, auch zivilrechtlich
gegen die häusliche Gewalt, bzw. Partnergewalt vorgehen zu können, sind seit
2002 komplett andere Handlungsmöglichkeiten entstanden, im Sinne von „das Opfer
bleibt, der Täter geht“.
Nicht in allen Fällen häuslicher Gewalt ist der
Schutz durch das Gewaltschutzgesetz und die Inanspruchnahme von
Opferberatungsstellen jedoch ausreichend. Dann kann das Aufsuchen eines
Frauenhauses dem Schutz von Leib und Leben dienen und die Anonymität und die
umfassende Betreuung dort helfen, Auswege aus einer solchen Krise zu finden.
Laut Statistik des Sozialamtes des Landkreises
Cloppenburg haben in den Jahren 2015-2017 insgesamt 64 Frauen im SGB II-Bezug
mit 87 Kindern ein Frauenhaus aufgesucht. Heruntergebrochen auf die einzelnen
Jahre sehen die Zahlen wie folgt aus: 2015: 28 Frauen mit 33 Kindern, 2016: 20
Frauen mit 31 Kindern, 2017: 16 Frauen mit 23 Kindern. 2015 und 2016 waren das
Frauenhaus in Vechta und die entsprechende Schutzeinrichtung in Delmenhorst
jeweils zu einem Drittel Hauptbelegungsort. Im Jahr 2017 hat knapp die Hälfte
der betroffenen Frauen mit ihren Kindern im Vechtaer Frauenhaus Schutz
gefunden. Darüber hinaus haben regionale und auch überregionale
Schutzeinrichtung Frauen mit ihren Kindern aus dem Landkreis Cloppenburg
aufgenommen. Die durchschnittliche Verweildauer im Frauenhaus betrug 2015 93
Tage, 2016 45 Tage und 2017 66 Tage.
Nach Rücksprache mit der Leiterin des Frauenhauses
Vechta in Trägerschaft des Sozialdienstes kath. Frauen e. V. betrug dort die
durchschnittliche Auslastung im Jahr 2015 69 %, 2016 86 % und 2017 60 %. Es
käme auch vor, dass in Zeiten voller Belegung eine Frau abgewiesen werden
müsste, diese wäre bislang dann auf Vermittlung der Frauenhausmitarbeiterinnen
in einem anderen Frauenhaus aufgenommen worden.
Niedersachsens
Sozialministerin Carola Reimann stellte am 22.02.2018 im Ausschuss des
Niedersächsischen Landtages fest, dass die Auslastung der Frauenhäuser im
landesweiten Vergleich vollkommen unterschiedlich sei. Sie reiche von 30 % –
100 %.
Differenziert
zu betrachten ist in diesen Zusammenhang sicherlich auch das Zusammenspiel von
ländlich und städtisch geprägtem Raum und die Frage der möglichen Anonymität. Da
gerade in besonders bedrohlichen Gewaltbeziehungen, die u.U. eine Gefahr für
das Leben der Betroffenen darstellen, Schutz in einem Frauenhaus gesucht wird,
hat die Anonymität der Schutzeinrichtung und die Distanz zum Wohn- und
Lebensumfeld des Opfers häufig einen existenziellen Stellenwert. Diese
Anonymität kann nur ein städtisches, wenn gar ein großstädtisches Frauenhaus
bieten. Nach Aussage der Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt Cloppenburg
wollen hiesige Frauen zumeist in einem auswärtigen Frauenhaus untergebracht
werden, dass für den Täter und deren Familien nicht so leicht auszumachen ist,
dessen Anonymität im Idealfall gewahrt bleibt. Im ländlichen Raum ist dies so
gut wie unmöglich.
Im Landkreis Cloppenburg waren 2016 449 Fälle von
häuslicher Gewalt und 47 Fälle von Stalking im sog. Hellfeld der
Polizeistatistik aufgeführt. Im Jahre 2017 wurde 401 Fälle von häuslicher
Gewalt und 10 Fälle von Stalking polizeilich bekannt gegeben.
Für diese Betroffenen sind selbstverständlich
wirksame Schutzmaßnahmen bereit zu stellen. Für betroffene Frauen im Landkreis
Cloppenburg und Multiplikator/innen, die sie begleiten, hat die Arbeit der
BISS- Beratungsstelle für die Polizeiinspektion Cloppenburg-Vechta einen hohen
Stellenwert. Der dort praktizierte „pro-aktive“ Ansatz und die enge
Zusammenarbeit mit der Polizeiinspektion ist hilfreich und präventiv zugleich. Im Zuge der Neustrukturierung der
Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt und der BISS jetzt in Trägerschaft des
Deutschen Roten Kreuzes haben zwischen der Frauenberatung und der Polizei erste
Planungen zur Einrichtung eines „Runden Tisches Häusliche Gewalt“ stattgefunden,
der sich im Sommer 2018 konstituieren soll und an dem alle mit dem Thema
befassten Institutionen und auch die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises
beteiligt werden sollen. Dieses Vorhaben ist ausdrücklich zu begrüßen.
Wünschenswert wäre eine Einbeziehung des Vechtaer Frauenhauses, da die BISS
auch für den Landkreis Vechta zuständig ist und dies Frauenhaus häufig von
schutzbedürftigen Frauen aus dem Landkreis Cloppenburg in Anspruch genommen
wird. Bereits besprochen wurde zwischen Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt
und der Polizei das Verfahren zur Behandlung von sog. Hochrisikofällen, das in
Anlehnung an das sog. Osnabrücker Modell auch mit fallinvolvierten Akteuren des
Runden Tisches bearbeitet werden soll.
Als
weitere Maßnahme im Zusammenhang mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention hat
die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbüros
Niedersachsen (lag) in einer
Pressemitteilung vom 14.03.2018 die
Ministerin Carola Reimann aufgefordert ein neues Landesaktionsprogramm
aufzustellen, das Schritte für die Umsetzung des Schutzes von Frauen und
Mädchen formuliert. In diesem Aktionsprogramm soll laut lag auch eine Koordinierungsstelle auf Landesebene vorgesehen
werden. Auch ein Ampelsystem, wie bereits in NRW erprobt
und erfolgreich, kann in diesem Zusammenhang Sinn machen. Auf einer
Internetkarte könnten Plätze in Frauenhäuser mit rot=belegt, gelb=frei, und
grün=frei mit Kindern gekennzeichnet sein. Somit wäre mehr Koordination und
Transparenz bei der Suche nach einem Frauenhausplatz gegeben.
Unklar bleibt auch in Zusammenhang mit dem Bericht
des NDR, wie das Fehl von 2.600 Frauenhausplätzen errechnet worden ist und ob
nicht Doppelzählungen auf Grund von Anfragen einer Betroffenen,
MultiplikatorInnen oder involvierten Beratungsstellen in mehreren Frauenhäusern
zu der genannten Anzahl an Fehlplätzen geführt haben. Auch diesbezüglich
könnten im Rahmen eines Landesaktionsprogramms genaue Bestands- und
Bedarfsanalysen erhoben werden.
Bei der Auswertung der Belegdauer bzw. der
Recherche von freien Plätzen in Frauenhäusern niedersachsenweit muss aktuell
auch das schwierige „Entlassungsmanagement“ aus den Schutzeinrichtungen in die
Bestandsaufnahme und Analyse der Situation einbezogen werden. Auch ist die
Verweildauer im Frauenhaus allgemein deutlich gestiegen, da die Lage auf dem
Wohnungsmarkt sehr angespannt ist und der Wohnungsmarkt insbesondere für die
betroffenen Frauen und ihre Kinder schwer zugänglich ist.
Bezogen auf den Landkreis Cloppenburg wird neben institutionellem Schutz und Hilfen der noch stärkere Ausbau der präventiven Maßnahmen wichtig sein. Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarates vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention)“ am 01.02.2018 ist begrüßenswerter Weise eine neue Dynamik in das hochaktuelle Thema „häusliche Gewalt“ gekommen, dass auf Bundes- und Landesebene und auch auf kommunaler Ebene neue Handlungsansätze erfordert und hervorbringen wird. Diese gilt es auf Landkreisebene im Rahmen des sich im Aufbau befindenden Runden Tisches konstruktiv zu begleiten und zu steuern und auch hier ggf. neue Maßnahmen zu initiieren oder neue Kooperationsmodelle, ev. auch über Landkreisgrenzen hinweg zu installieren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollten die aktuellen politischen Entwicklungen auf Bundes- und Landesebene zunächst einmal in ihren Auswirkungen auf die kommunalen Hilfestrukturen evaluiert und begleitet werden, um ggf. über die Notwendigkeit der Implementierung zusätzlicher Angebote, wie z. B. eines Frauenhauses im Landkreis Cloppenburg, zu beraten.
[1] Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarates vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 17. Juli 2017, Drucksache des Deutschen Bundestages 18/12037, S. 69
Finanzierung:
Anlagenverzeichnis:
Antrag der Gruppe Grüne/UWG zur Schaffung eines
Frauenhauses für den Landkreis Cloppenburg
Flyer „Hilfe für Frauen bei Bedrohung und Gewalt“