Sitzung: 10.06.2021 Sozialausschuss
Die Gruppe GRÜNE/UWG
hatte mit Schreiben vom 25.05.2021 mehrere Fragen zur Leistungsbewilligung gem.
Asylbewerberleistungsgesetz in den Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis
Cloppenburg im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie gestellt.
Kreisverwaltungsoberrätin
Schröder teilte mit, dass von der Verwaltung eine ausführliche Stellungnahme
erarbeitet worden sei und schlug vor, die Beantwortung der Anfrage dem
Protokoll beizufügen.
Kreistagsabgeordnete
Thomée stimmte dem Vorschlag zu.
Die Verwaltung nimmt zur Anfrage der Gruppe GRÜNE/UWG im
Kreistag gem. § 56 NKomVG vom
25.05.2021 – „Zwangsverpartnerung“ in Gemeinschaftsunterkünften wie folgt
Stellung:
Die Gruppe
GRÜNE/UWG bittet mit Schreiben vom 25.05.2021 in der Sitzung des Sozialausschusses
am 10.6.2021 um Beantwortung der folgenden Fragen:
1. Gab es vor der Corona-Pandemie in den
Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg eine Reduzierung der
Leistungen nach dem AsylbLG durch „Zwangsverpartnerung“? Wenn ja, in welchem
Umfang?
2. Wie viele Fälle wurden aufgrund des
Erlasses des MI vom 14.01.2021 überprüft? Mit welchem Ergebnis?
3. Gibt es aktuell in den
Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg eine Reduzierung der
Leistungen nach dem AsylbLG durch „Zwangsverpartnerung“? Wenn ja, in welchem
Umfang?
Anlass der Anfrage
ist die Bewilligung der Regelbedarfsstufe 2 für erwachsene, alleinstehende
Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften leben (AsylbLG: 328 EUR;
SGB XII: 401 EUR). Der gleiche Personenkreis erhält die Regelbedarfsstufe 1 im
Falle der Unterbringung in einer Wohnung (AsylbLG: 364 EUR; SGB XII: 446 EUR).
Die Differenz beträgt somit aktuell bei den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG 36
EUR, bei den Analogleistungen nach dem SGB XII: 45 EUR.
Die Gruppe
GRÜNE/UWG verweist auf einen Erlass des Nds. MI vom 14.01.2021.
Die Anfrage und der Erlass sind als Anlage
beigefügt.
Vorbemerkungen / allgemeine
Erläuterungen:
Im Landkreis
Cloppenburg leben zzt. 708 Geflüchtete (Asylbewerber und Geduldete, Stand: 31.05.2021,
Statistik der Ausländerbehörde).
Die Unterbringung
erfolgt in den von den Städten und Gemeinden angemieteten Wohnungen sowie in
Gemeinschaftsunterkünften, die vom Caritas-Sozialwerk und dem Deutschen Roten
Kreuz betrieben werden. Nach dem erheblichen Abbau in den Jahren nach 2017,
werden aktuell noch 14 Gemeinschaftsunterkünfte mit insgesamt 475 Plätzen
genutzt. In den Unterkünften leben 358 Geflüchtete (Stand: März 2021).
Die Bewilligung
der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) obliegt den
kommunalen Sozialleistungsbehörden im Rahmen des übertragenen Wirkungskreises.
Die Fach- und Rechtsaufsicht liegt beim Land (dem Innenministerium). Der
Landkreis hat den Städten und Gemeinden die Aufgabe übertragen, hat aber
weiterhin ein Weisungsrecht für die Sachbearbeitung.
Das Nds. MI hat mit Erlass vom 14.01.2021
die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorgaben zur Gewährung der
Regelbedarfsstufe 2 in Gemeinschaftsunterkünften nach § 3a Abs. 1 Nr. 2b sowie
Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie bestimmt. Die
Ausführungen gelten für Analogleistungsberechtigte gemäß § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1
AsylbLG entsprechend (diese erhalten Leistungen analog dem SGB XII).
Der Erlass wurde mit Mail vom 18.01.2021 an
die Sozialämter der Städte und Gemeinden im Landkreis Cloppenburg zur weiteren
Veranlassung weitergeleitet.
Zum Inhalt des
MI-Erlasses vom 14.01.2021:
§ 3a Abs. 1 Nr.
2b sowie Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG regelt seit Sommer 2019, dass erwachsenen
(alleinstehenden) Leistungsberechtigten, die in Gemeinschaftsunterkünften
untergebracht sind, Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 gewährt werden
(90 % der Bedarfsstufe 1).
Mit der
Begrenzung des Leistungssatzes auf das Niveau der Bedarfsstufe 2 soll dem
Umstand Rechnung getragen werden, dass eine Gemeinschaftsunterbringung für die
Bewohnerinnen und Bewohner solcher Unterkünfte Einspareffekte durch gemeinsames
Wirtschaften zur Folge hat, die im Ergebnis vergleichbar zu Einsparungen in
Paarhaushalten sind.
Das Nds. MI
kommt zu der Einschätzung, dass die COVID-19-Pandemie und die damit
einhergehenden Kontaktbeschränkungen in Einzelfällen dazu führen können, dass
das für das Eintreten von Einspareffekten notwendige gemeinsame Wirtschaften
tatsächlich nicht mehr möglich sein könnte.
Das Nds. MI
weist darauf hin, dass eine Einzelfallprüfung bezüglich der tatsächlichen
Möglichkeit des gemeinsamen Wirtschaftens notwendig sei.
In den Fällen,
in welchen ein gemeinsames Wirtschaften aufgrund von COVID-19-bedingten
Einschränkungen nicht möglich ist, tritt eine teleologische Reduktion[1] von § 3a Abs. 1 Nr. 2b sowie Abs. 2 Nr. 2b
AsylbLG ein und es sind dann entsprechend Leistungen in Höhe der
Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Soweit
die Weisung des Landes.
Das Nds. MI
teilte auf Nachfrage mit, dass für die Leistungsbehörden grundsätzlich keine
Amtsermittlungspflicht zur Überprüfung jedes Einzelfalles besteht.
Ein Antrag des
Leistungsberechtigten auf Überprüfung sei aber auch nicht notwendig. Vielmehr
solle die Leistungsbehörde dann tätig werden, wenn beispielsweise bekannt sei,
dass eine bestimmte Gemeinschaftseinrichtung von Quarantänemaßnahmen oder
sonstigen Infektionsschutzmaßnahmen derart betroffen sei, dass eine
teleologische Reduzierung der Norm mit der Folge der Anwendung der Bedarfsstufe
1 möglicherweise in Betracht kommen könne.
Anzumerken ist,
dass einige Sozialgerichte und Landessozialgerichte - unabhängig von der
Corona-Pandemie - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bewilligung der
Regelbedarfsstufe 2 im Falle der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft
geäußert haben. Diese Urteile
berechtigen die Leistungsbehörden jedoch nicht, von der klaren
gesetzlichen Regelung abzuweichen. Mit dem Erlass vom 14.01.2021 und den
genauen Vorgaben für den Ausnahmefall, hat das Land die Bindung an die
gesetzliche Regelung bestätigt.
Kernfrage ist somit, ob ein gemeinsames
Wirtschaften – mit der Möglichkeit Einsparungen zu erzielen - in den
Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg trotz der Corona-Pandemie
noch möglich ist.
Alle
Gemeinschaftsunterkünfte im Landkreis Cloppenburg sind zu einem gewissen Anteil
auf gemeinsames Wohnen und Wirtschaften ausgerichtet. Dabei werden die
Privatsphäre und die Rückzugsmöglichkeiten in den eigenen Wohnbereichen
beachtet. Es handelt sich bei den Gemeinschaftsunterkünften (mit besonderer
Hervorhebung des Wortes „Gemeinschaft“) nicht um Hotels. Küchen,
Sanitärbereiche und Gruppenräume werden gemeinschaftlich bzw. in kleinen
Wohneinheiten gemeinsam genutzt.
Zur Situation in
den Unterkünften aufgrund der Corona-Pandemie wurden Vertreter der Betreiber,
des Caritas-Sozialwerkes und des Deutschen Roten Kreuzes, befragt.
Die
Möglichkeiten des gemeinsamen Wirtschaftens können anhand folgender Beispiele
veranschaulicht werden:
·
In
den Gemeinschaftsküchen sind Gebrauchsgüter wie Küchengeräte und
Küchenutensilien für die Allgemeinheit vorhanden. Auch Reinigungsmittel werden
gemeinsam genutzt.
Diese Gegenstände werden von den Betreibern zur Verfügung gestellt, zum Teil
aber auch von den Bewohnern gemeinsam gekauft. („Auch in den kleineren
Wohneinheiten der Greten-Module kauft sich nicht jeder Bewohner seine eigene
Flasche Pril.“)
·
Für
den Sanitärbereich werden Reinigungsmittel und Toilettenpapier ebenfalls von
den Betreibern zur Verfügung gestellt.
·
Haushaltsgegenstände
wie Besen, Wischer, Staubsauger oder Wäscheständer sind ebenfalls in
gemeinsamer Verwendung (und werden vom Betreiber zur Verfügung gestellt).
Anmerkung: Die
Kosten für Reinigungsmittel, Toilettenpapier und die Haushaltsgegenstände trägt
der Landkreis über den Tagessatz, der von den Betreibern für jeden Platz
berechnet wird. Es wird hierfür kein Betrag vom Regelbedarf einbehalten.
·
Für
den Einkauf von Nahrungsmitteln gibt es durchaus Beispiele, dass dies in der
Praxis tatsächlich gemeinschaftlich erfolgt. Daran habe Corona nichts geändert,
so die Auskunft der Betreiber.
Das gemeinschaftliche Wirtschaften ist auch während der Corona-Pandemie und der
damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen erfolgt. So werden etwa die
Gemeinschaftsküchen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander genutzt.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass auch im Quarantäne-Fall ein
gemeinsamer Einkauf stattfindet bzw. sogar notwendig ist, weil die infizierten
Bewohner die Gemeinschaftsunterkunft nicht verlassen dürfen.
Der Einkauf erfolgt dann entweder durch die nicht in Quarantäne befindlichen
Bewohner oder, sofern das ganze Wohnheim unter Quarantäne gestellt wird, durch
die Betreiber.
Eine gemeinschaftliche Organisation ist somit insbesondere bei einem
Infektionsgeschehen gegeben.
·
Weiterhin
haben die Bewohner aller Gemeinschaftsunterkünfte kostenfreien Zugang zum
Internet über das hauseigene WLAN. Dies ist für die Bewohner sehr wichtig, um
die sozialen Medien oder Internet-Telefonie zu nutzen.
Anmerkung: Die
Kosten für WLAN trägt der Landkreis über den Tagessatz. Es erfolgt auch hier
kein Abzug vom Regelbedarf. In der Regelbedarfsstufe 2 (AsylbLG) ist für
Kommunikationsdienstleistungen ein Betrag in Höhe von 30,90 EUR einberechnet.
Fazit:
Insgesamt ist
festzuhalten, dass den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkünfte trotz aller
Corona-Einschränkungen ein gemeinsames Wirtschaften nach wie vor möglich ist
und damit Einspareffekte erzielt werden können.
Diese
Möglichkeit zum gemeinsamen Wirtschaften besteht auch während der
Corona-Pandemie fort. Wenn dies im Einzelfall nicht umgesetzt wird, etwa weil
Einkäufe getrennt voneinander getätigt werden, widerspricht dies nicht der
grundsätzlichen Möglichkeit für ein gemeinsames Wirtschaften.
Es gibt somit
keine Anhaltspunkte, dass ein gemeinsames Wirtschaften wegen der Pandemie nicht
mehr oder nur noch merklich eingeschränkt möglich ist. Dies gilt für alle
Unterkünfte und für die unterschiedlichen Bedingungen aufgrund der Pandemie.
Das
Zusammenleben wegen der Pandemie ist anders. Dies beeinträchtigt aber nicht
spürbar die grundsätzliche Möglichkeit, durch gemeinsames Wirtschaften
Einsparungen zu erzielen.
Die Bewohner
haben durch das kostenfreie WLAN sowie durch das Bereitstellen der
Reinigungsmittel usw. einen geldwerten Vorteil gegenüber den Geflüchteten in
Wohnungen. Hier wird das gemeinsame Wirtschaften von den Betreibern organisiert
und der Landkreis trägt die Kosten. Es ist und bleibt aber ein gemeinsames
Wirtschaften im Sinne der Gesetzesauslegung, das bei den Bewohner zu belegbaren
Einsparungen führt. Damit steht schon dies der Bewilligung der höheren
Regelbedarfsstufe 1 entgegen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden,
dass keine generellen Ansatzpunkte hinsichtlich der Notwendigkeit einer
Überprüfung möglicher Einzelfälle im Sinne des MI-Erlasses vom 14.01.2021 bestehen.
Beantwortung der Fragen:
Eine edv-gestützte
Auswertungsmöglichkeit gibt es zu den geforderten Daten nicht. Die Sozialämter
der Städte und Gemeinden wurden gebeten, die Daten manuell auszuwerten.
Die Fragen der Gruppe GRÜNE/UWG werden wie
folgt beantwortet:
Frage 1.
Gab es vor der Corona-Pandemie in den
Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg eine Reduzierung der
Leistungen nach dem AsylbLG durch „Zwangsverpartnerung“? Wenn ja, in welchem
Umfang?
Antwort zu 1.
Zum Stichtag
31.01.2020 wurden entsprechend der gesetzlichen
Vorgaben Leistungen der RBS 2 gem. §
3a Abs. 1 Nr. 2b sowie Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG bzw. Analogleistungen nach dem SGB
XII wie folgt bewilligt:
Anzahl: 68 Leistungsberechtigte
Frage 2.
Wie viele Fälle wurden aufgrund des Erlasses
des MI vom 14.01.2021 überprüft? Mit welchem Ergebnis?
Antwort zu 2.
a) Anzahl
der Fälle die aufgrund des Erlasses des MI vom 14.01.2021
überprüft wurden: 3
Leistungsberechtigte
b) -
Anzahl der Fällen, in denen nach der Prüfung die RBS 2
bewilligt wurde: 3 Leistungsberechtigte
- Anzahl der Fällen, in denen nach der Prüfung die RBS 1
bewilligt wurde: 0
Leistungsberechtigte
Frage 3.
Gibt es aktuell in den
Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg eine Reduzierung der
Leistungen nach dem AsylbLG durch „Zwangsverpartnerung“? Wenn ja, in welchem
Umfang?
Antwort zu 3.
Zum Stichtag
01.05.2021 wurden alleinstehenden, erwachsenen Leistungsberechtigten
in Gemeinschaftsunterkünften entsprechend der gesetzlichen Vorgaben Leistungen
der RBS 2 wie folgt bewilligt:
Anzahl: 93 Leistungsberechtige
[1] teleologische Reduktion: bezeichnet als Fachbegriff der juristischen Methodenlehre eines der Mittel oder Instrumente zur Ausfüllung von Gesetzeslücken.
Abstimmungsergebnis:
Ja: |
|
Nein: |
|
Enthaltung: |
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