Die Gruppe GRÜNE/UWG hatte mit Schreiben vom 25.05.2021 mehrere Fragen zur Leistungsbewilligung gem. Asylbewerberleistungsgesetz in den Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie gestellt.

 

Kreisverwaltungsoberrätin Schröder teilte mit, dass von der Verwaltung eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet worden sei und schlug vor, die Beantwortung der Anfrage dem Protokoll beizufügen.

 

Kreistagsabgeordnete Thomée stimmte dem Vorschlag zu.

 

Die Verwaltung nimmt zur Anfrage der Gruppe GRÜNE/UWG im Kreistag gem. § 56 NKomVG vom 25.05.2021 – „Zwangsverpartnerung“ in Gemeinschaftsunterkünften wie folgt Stellung:

 

Die Gruppe GRÜNE/UWG bittet mit Schreiben vom 25.05.2021 in der Sitzung des Sozialausschusses am 10.6.2021 um Beantwortung der folgenden Fragen:

 

1. Gab es vor der Corona-Pandemie in den Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg eine Reduzierung der Leistungen nach dem AsylbLG durch „Zwangsverpartnerung“? Wenn ja, in welchem Umfang?

 

2. Wie viele Fälle wurden aufgrund des Erlasses des MI vom 14.01.2021 überprüft? Mit welchem Ergebnis?

 

3. Gibt es aktuell in den Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg eine Reduzierung der Leistungen nach dem AsylbLG durch „Zwangsverpartnerung“? Wenn ja, in welchem Umfang?

 

Anlass der Anfrage ist die Bewilligung der Regelbedarfsstufe 2 für erwachsene, alleinstehende Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften leben (AsylbLG: 328 EUR;
SGB XII: 401 EUR). Der gleiche Personenkreis erhält die Regelbedarfsstufe 1 im Falle der Unterbringung in einer Wohnung (AsylbLG: 364 EUR; SGB XII: 446 EUR). Die Differenz beträgt somit aktuell bei den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG 36 EUR, bei den Analogleistungen nach dem SGB XII: 45 EUR.

 

Die Gruppe GRÜNE/UWG verweist auf einen Erlass des Nds. MI vom 14.01.2021.

Die Anfrage und der Erlass sind als Anlage beigefügt.

 

 

Vorbemerkungen / allgemeine Erläuterungen:

 

Im Landkreis Cloppenburg leben zzt. 708 Geflüchtete (Asylbewerber und Geduldete, Stand: 31.05.2021, Statistik der Ausländerbehörde).

 

Die Unterbringung erfolgt in den von den Städten und Gemeinden angemieteten Wohnungen sowie in Gemeinschaftsunterkünften, die vom Caritas-Sozialwerk und dem Deutschen Roten Kreuz betrieben werden. Nach dem erheblichen Abbau in den Jahren nach 2017, werden aktuell noch 14 Gemeinschaftsunterkünfte mit insgesamt 475 Plätzen genutzt. In den Unterkünften leben 358 Geflüchtete (Stand: März 2021).

 

Die Bewilligung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) obliegt den kommunalen Sozialleistungsbehörden im Rahmen des übertragenen Wirkungskreises. Die Fach- und Rechtsaufsicht liegt beim Land (dem Innenministerium). Der Landkreis hat den Städten und Gemeinden die Aufgabe übertragen, hat aber weiterhin ein Weisungsrecht für die Sachbearbeitung.

 

Das Nds. MI hat mit Erlass vom 14.01.2021 die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorgaben zur Gewährung der Regelbedarfsstufe 2 in Gemeinschaftsunterkünften nach § 3a Abs. 1 Nr. 2b sowie Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie bestimmt. Die Ausführungen gelten für Analogleistungsberechtigte gemäß § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG entsprechend (diese erhalten Leistungen analog dem SGB XII).

 

Der Erlass wurde mit Mail vom 18.01.2021 an die Sozialämter der Städte und Gemeinden im Landkreis Cloppenburg zur weiteren Veranlassung weitergeleitet.

 

Zum Inhalt des MI-Erlasses vom 14.01.2021:

§ 3a Abs. 1 Nr. 2b sowie Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG regelt seit Sommer 2019, dass erwachsenen (alleinstehenden) Leistungsberechtigten, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 gewährt werden (90 % der Bedarfsstufe 1).

 

Mit der Begrenzung des Leistungssatzes auf das Niveau der Bedarfsstufe 2 soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine Gemeinschaftsunterbringung für die Bewohnerinnen und Bewohner solcher Unterkünfte Einspareffekte durch gemeinsames Wirtschaften zur Folge hat, die im Ergebnis vergleichbar zu Einsparungen in Paarhaushalten sind.

 

Das Nds. MI kommt zu der Einschätzung, dass die COVID-19-Pandemie und die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen in Einzelfällen dazu führen können, dass das für das Eintreten von Einspareffekten notwendige gemeinsame Wirtschaften tatsächlich nicht mehr möglich sein könnte. 

 

Das Nds. MI weist darauf hin, dass eine Einzelfallprüfung bezüglich der tatsächlichen Möglichkeit des gemeinsamen Wirtschaftens notwendig sei. 

 

In den Fällen, in welchen ein gemeinsames Wirtschaften aufgrund von COVID-19-bedingten Einschränkungen nicht möglich ist, tritt eine teleologische Reduktion[1] von § 3a Abs. 1 Nr. 2b sowie Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG ein und es sind dann entsprechend Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Soweit  die Weisung des Landes.

 

 

Das Nds. MI teilte auf Nachfrage mit, dass für die Leistungsbehörden grundsätzlich keine Amtsermittlungspflicht zur Überprüfung jedes Einzelfalles besteht.

Ein Antrag des Leistungsberechtigten auf Überprüfung sei aber auch nicht notwendig. Vielmehr solle die Leistungsbehörde dann tätig werden, wenn beispielsweise bekannt sei, dass eine bestimmte Gemeinschaftseinrichtung von Quarantänemaßnahmen oder sonstigen Infektionsschutzmaßnahmen derart betroffen sei, dass eine teleologische Reduzierung der Norm mit der Folge der Anwendung der Bedarfsstufe 1 möglicherweise in Betracht kommen könne.

 

Anzumerken ist, dass einige Sozialgerichte und Landessozialgerichte - unabhängig von der Corona-Pandemie - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bewilligung der Regelbedarfsstufe 2 im Falle der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft geäußert haben. Diese Urteile  berechtigen die Leistungsbehörden jedoch nicht, von der klaren gesetzlichen Regelung abzuweichen. Mit dem Erlass vom 14.01.2021 und den genauen Vorgaben für den Ausnahmefall, hat das Land die Bindung an die gesetzliche Regelung bestätigt.

 

 

Kernfrage ist somit, ob ein gemeinsames Wirtschaften – mit der Möglichkeit Einsparungen zu erzielen - in den Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg trotz der Corona-Pandemie noch möglich ist.

 

Alle Gemeinschaftsunterkünfte im Landkreis Cloppenburg sind zu einem gewissen Anteil auf gemeinsames Wohnen und Wirtschaften ausgerichtet. Dabei werden die Privatsphäre und die Rückzugsmöglichkeiten in den eigenen Wohnbereichen beachtet. Es handelt sich bei den Gemeinschaftsunterkünften (mit besonderer Hervorhebung des Wortes „Gemeinschaft“) nicht um Hotels. Küchen, Sanitärbereiche und Gruppenräume werden gemeinschaftlich bzw. in kleinen Wohneinheiten gemeinsam genutzt.

 

Zur Situation in den Unterkünften aufgrund der Corona-Pandemie wurden Vertreter der Betreiber, des Caritas-Sozialwerkes und des Deutschen Roten Kreuzes, befragt.

 

Die Möglichkeiten des gemeinsamen Wirtschaftens können anhand folgender Beispiele veranschaulicht werden:

 

·         In den Gemeinschaftsküchen sind Gebrauchsgüter wie Küchengeräte und Küchenutensilien für die Allgemeinheit vorhanden. Auch Reinigungsmittel werden gemeinsam genutzt.
Diese Gegenstände werden von den Betreibern zur Verfügung gestellt, zum Teil aber auch von den Bewohnern gemeinsam gekauft. („Auch in den kleineren Wohneinheiten der Greten-Module kauft sich nicht jeder Bewohner seine eigene Flasche Pril.“)

·         Für den Sanitärbereich werden Reinigungsmittel und Toilettenpapier ebenfalls von den Betreibern zur Verfügung gestellt.

·         Haushaltsgegenstände wie Besen, Wischer, Staubsauger oder Wäscheständer sind ebenfalls in gemeinsamer Verwendung (und werden vom Betreiber zur Verfügung gestellt).

Anmerkung: Die Kosten für Reinigungsmittel, Toilettenpapier und die Haushaltsgegenstände trägt der Landkreis über den Tagessatz, der von den Betreibern für jeden Platz berechnet wird. Es wird hierfür kein Betrag vom Regelbedarf einbehalten.

·         Für den Einkauf von Nahrungsmitteln gibt es durchaus Beispiele, dass dies in der Praxis tatsächlich gemeinschaftlich erfolgt. Daran habe Corona nichts geändert, so die Auskunft der Betreiber.

Das gemeinschaftliche Wirtschaften ist auch während der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen erfolgt. So werden etwa die Gemeinschaftsküchen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander genutzt.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass auch im Quarantäne-Fall ein gemeinsamer Einkauf stattfindet bzw. sogar notwendig ist, weil die infizierten Bewohner die Gemeinschaftsunterkunft nicht verlassen dürfen.
Der Einkauf erfolgt dann entweder durch die nicht in Quarantäne befindlichen Bewohner oder, sofern das ganze Wohnheim unter Quarantäne gestellt wird, durch die Betreiber.
Eine gemeinschaftliche Organisation ist somit insbesondere bei einem Infektionsgeschehen gegeben.

·         Weiterhin haben die Bewohner aller Gemeinschaftsunterkünfte kostenfreien Zugang zum Internet über das hauseigene WLAN. Dies ist für die Bewohner sehr wichtig, um die sozialen Medien oder Internet-Telefonie zu nutzen.

 

Anmerkung: Die Kosten für WLAN trägt der Landkreis über den Tagessatz. Es erfolgt auch hier kein Abzug vom Regelbedarf. In der Regelbedarfsstufe 2 (AsylbLG) ist für Kommunikationsdienstleistungen ein Betrag in Höhe von 30,90 EUR einberechnet.

 

Fazit:

Insgesamt ist festzuhalten, dass den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkünfte trotz aller Corona-Einschränkungen ein gemeinsames Wirtschaften nach wie vor möglich ist und damit Einspareffekte erzielt werden können.

 

Diese Möglichkeit zum gemeinsamen Wirtschaften besteht auch während der Corona-Pandemie fort. Wenn dies im Einzelfall nicht umgesetzt wird, etwa weil Einkäufe getrennt voneinander getätigt werden, widerspricht dies nicht der grundsätzlichen Möglichkeit für ein gemeinsames Wirtschaften.

 

Es gibt somit keine Anhaltspunkte, dass ein gemeinsames Wirtschaften wegen der Pandemie nicht mehr oder nur noch merklich eingeschränkt möglich ist. Dies gilt für alle Unterkünfte und für die unterschiedlichen Bedingungen aufgrund der Pandemie.

 

Das Zusammenleben wegen der Pandemie ist anders. Dies beeinträchtigt aber nicht spürbar die grundsätzliche Möglichkeit, durch gemeinsames Wirtschaften Einsparungen zu erzielen.

 

Die Bewohner haben durch das kostenfreie WLAN sowie durch das Bereitstellen der Reinigungsmittel usw. einen geldwerten Vorteil gegenüber den Geflüchteten in Wohnungen. Hier wird das gemeinsame Wirtschaften von den Betreibern organisiert und der Landkreis trägt die Kosten. Es ist und bleibt aber ein gemeinsames Wirtschaften im Sinne der Gesetzesauslegung, das bei den Bewohner zu belegbaren Einsparungen führt. Damit steht schon dies der Bewilligung der höheren Regelbedarfsstufe 1 entgegen.

 

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass keine generellen Ansatzpunkte hinsichtlich der Notwendigkeit einer Überprüfung möglicher Einzelfälle im Sinne des MI-Erlasses vom 14.01.2021 bestehen.

 

Beantwortung der Fragen:

 

Eine edv-gestützte Auswertungsmöglichkeit gibt es zu den geforderten Daten nicht. Die Sozialämter der Städte und Gemeinden wurden gebeten, die Daten manuell auszuwerten.

 

Die Fragen der Gruppe GRÜNE/UWG werden wie folgt beantwortet:

 

Frage 1.

Gab es vor der Corona-Pandemie in den Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg eine Reduzierung der Leistungen nach dem AsylbLG durch „Zwangsverpartnerung“? Wenn ja, in welchem Umfang?

 

Antwort zu 1.

Zum Stichtag 31.01.2020 wurden entsprechend der gesetzlichen Vorgaben Leistungen der RBS 2 gem. § 3a Abs. 1 Nr. 2b sowie Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG bzw. Analogleistungen nach dem SGB XII wie folgt bewilligt:

 

Anzahl:          68 Leistungsberechtigte

 

 

Frage 2.

Wie viele Fälle wurden aufgrund des Erlasses des MI vom 14.01.2021 überprüft? Mit welchem Ergebnis?

Antwort zu 2.

 

a)     Anzahl der Fälle die aufgrund des Erlasses des MI vom 14.01.2021
überprüft wurden:                   3 Leistungsberechtigte

 

b)     - Anzahl der Fällen, in denen nach der Prüfung die RBS 2
bewilligt wurde:                      3 Leistungsberechtigte

- Anzahl der Fällen, in denen nach der Prüfung die RBS 1
bewilligt wurde:                       0 Leistungsberechtigte

 

 

Frage 3.

Gibt es aktuell in den Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis Cloppenburg eine Reduzierung der Leistungen nach dem AsylbLG durch „Zwangsverpartnerung“? Wenn ja, in welchem Umfang?

 

Antwort zu 3.

 

Zum Stichtag 01.05.2021 wurden alleinstehenden, erwachsenen Leistungsberechtigten in Gemeinschaftsunterkünften entsprechend der gesetzlichen Vorgaben Leistungen der RBS 2 wie folgt bewilligt:

 

Anzahl:          93 Leistungsberechtige



[1] teleologische Reduktion: bezeichnet als Fachbegriff der juristischen Methodenlehre eines der Mittel oder Instrumente zur Ausfüllung von Gesetzeslücken.


Abstimmungsergebnis:

 

Ja:

 

Nein:

 

Enthaltung: