Betreff
Beitritt zur Gründung des Bündnisses "Rettet die 112 und den Rettungsdienst - Für den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe"
Vorlage
V-KA/19/565
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Dem Kreistag wird folgende Beschlussfassung empfohlen:

 

Der Landkreis Cloppenburg tritt dem Bündnis „Rettet die 112 und den Rettungsdienst – Für den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe“ bei.

 

 

 


Sach- und Rechtslage:

 

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat kürzlich einen Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung an die Gesundheitsministerien der Länder verschickt. Wesentliche Ziele und Regelungen des Gesetzesentwurfs sind:

 

1.)   Es sollen sogen. gemeinsame Notfallleitstellen (GNL) errichtet werden. Diese GNL sollen von den Ländern unter Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigungen durch die verbindliche Zusammenarbeit der Rufnummern 112 und 116 117 geschaffen werden. Dabei soll es ein gemeinsames und verbindliches Verständnis zur Einschätzung der Dringlichkeit des medizinischen Versorgungsbedarfs und der Disposition der erforderlichen medizinischen Versorgung geben. GNL disponieren sowohl rettungsdienstliche als auch bereitschaftsdienstliche Strukturen, ggf. auch durch telemedizinische Leistungen.

 

2.)   Es sollen integrierte Notfallzentren (INZ) als jederzeit zugängliche Einrichtungen der medizinischen Notfallversorgung geschaffen werden. Diese führen nach Eintreffen des Hilfesuchenden eine qualifizierte Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfs und die vor Ort aus medizinischer Sicht unmittelbar erforderliche ambulante Notfallversorgung durch. Diese INZ sollen von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenhäusern gemeinsam errichtet und betrieben sowie räumlich derart in ein Krankenhaus eingebunden werden, dass sie von den Patienten als erste Anlaufstelle im Notfall wahrgenommen werden. Die Länder übernehmen dabei die zentrale Rolle zur Planung und Gestaltung der integrierten medizinischen Notfallversorgung in Deutschland und berücksichtigen dabei die bestehenden Strukturen des vertragsärztlichen Notdienstes, insbesondere die vielfach eingerichteten sogen. Portalpraxen.

 

3.)   Das BMG will den Rettungsdienst als eigenständigen Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung im SGB V einfügen. Hierdurch soll er als eigenständige medizinische Leistung anerkannt und unabhängig von der Inanspruchnahme anderer Leistungen der GKV gewährt werden.

 

4.)   Die Weitentwicklung des Rettungsdienstes als eigenständiger Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung erfordert eine Koordination von Rettungsdienst und anderen Einrichtungen der medizinischen Notfallversorgung. Hierdurch sind nach Auffassung des BMG bundesweite Rahmenvorgaben sowie eine Aufteilung der Finanzierungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern erforderlich. Daher soll in Art. 74 GG die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf den Rettungsdienst ausgeweitet werden.

 

Das Präsidium des NLT hat aufgrund dessen im Rahmen seiner 644. Sitzung am 5.9.2019 in Hannover Folgendes beschlossen:

 

„1. (Ablehnung Grundgesetzänderung)

Der NLT lehnt die im Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung enthaltene Grundgesetzänderung, mit der ein neuer Art. 74 Abs. 1 Nr. 12a GG als Bundeskompetenz für „die wirtschaftliche Sicherung des Rettungsdienstes“ in die konkurrierende Gesetzgebung aufgenommen werden soll, entschieden ab.

 

2. (Grundsatzkritik)

Der NLT kritisiert, dass der Diskussionsentwurf zur Reform der Notfallversorgung zwar einige Probleme der akuten Versorgung der Versicherten benennt, die Hauptursache aber nicht klar benennt, nämlich das Nichtfunktionieren der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung und des kassenärztlichen Notdienstes bei Eilfällen. Der Gesetzentwurf wird stattdessen unberechtigterweise dazu genutzt, bundesrechtliche Vorgaben für den Rettungsdienst zu etablieren, die den Rettungsdienst als kommunale Aufgabe des eigenen Wirkungskreises faktisch beseitigen würde. Gestaltungsspielräume vor Ort und im Land würden durch Vorgaben des Bundes erstickt.

 

3. (Gesamtbetrachtung des Hilfeleistungssystems)

Die Zusammenhänge im gesamten nichtpolizeilichen Hilfesystem vor Ort müssen bei jeder Reform der Notfallversorgung umfassend mitbetrachtet werden. Der Diskussionsentwurf ist dagegen einseitig aus dem Blickwinkel des Bundesgesundheitssystems erarbeitet, muss vollständig zurückgezogen und durch einen fairen Zukunftsprozess unter gleichberechtigter Beteiligung der Innenressorts der Länder, der Kommunalen Aufgabenträger, der Feuerwehren und der Hilfsorganisationen ersetzt werden. Dabei muss der konkrete Patientennutzen im Vordergrund stehen.

 

4. (Kostentragung und Bedarfsplanung)

Allein die vorgesehene Überwälzung der Investitionskosten des Rettungsdienstes auf die Länder würde für Niedersachsen den Entzug von Finanzmitteln der gesetzlichen Krankenversicherungen in Höhe von wohl bis zu ca. 500 Mio. € pro Jahr bedeuten. Dies wird abgelehnt, weil es sich um Kosten handelt, die auch weiterhin von den Versicherten zu tragen sind. Auch bundesweite Vorgaben für die Planung von Rettungswachenstandorten oder landeseinheitliche Kostentarife nebst Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses würden den Einfluss der Kostenträger gegenüber der seit 1992 bewährten Rechtslage des NRettDG massiv ausweiten und kommunale Gestaltungsspielräume der niedersächsischen Landkreise und der Region Hannover sowie das bewährte Zusammenwirken aller Akteure im Landesausschuss Rettungsdienst faktisch abschaffen.

 

5. (Koordination von 112 und 116117 in kommunaler Hand)

In Übereinstimmung mit der bisherigen Beratungs- und Beschlusslage auch des Deutschen Landkreistages hält der NLT es für sinnvoll, künftig in den kommunalen Rettungsleitstellen, die weiterhin Einrichtungen des eigenen Wirkungskreises der Landkreise und der Region Hannover bleiben müssen, das Bedürfnis nach Akutbehandlungen (bisher unter der Rufnummer 116117 abgebildet) und die Hilfe bei lebensbedrohlichen Notfällen (Rufnummer 112) gemeinsam unter kommunaler Federführung freiwillig zu administrieren. Um dieses Anliegen mit konkretem Patientennutzen umzusetzen, sind weite Teile des Gesetzentwurfs und insbesondere die vorgesehenen diffusen Bestimmungen zu Gemeinsamen Notfallleitstellen (GNL) nicht notwendig und werden abgelehnt. Notwendig sind allein Regelungen zur verbesserten optionalen Disposition des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes durch die kommunalen Leitstellen. Die Übernahme von Aufgaben der Terminservicestellen im Bereich der nicht akuten Facharztterminvermittlung gefährdet den Charakter der Leitstellen als Einrichtungen der Notfallrettung und wird abgelehnt.

 

6. (Gründung eines Bündnisses für den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe)

Wegen des engen Zusammenhangs und der Bedeutung des Rettungsdienstes und seiner Leitstellen für die kommunale Daseinsvorsorge und Gefahrenabwehr besteht ein hohes Interesse, dass in der aktuellen Diskussion durch den Bund die Aspekte der kommunalen Gefahrenabwehr, des Brand- und Katastrophenschutzes nicht weiter ausgeblendet werden. Zudem ist eine weitere Aushöhlung der Staatlichkeit der Länder durch Vorgaben des Bundes für den Bereich der Organisation der Daseinsvorsorge und Gefahrenabwehr aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen und zur Verbesserung der medizinischen Notfallversorgung auch nicht notwendig.

Die Geschäftsstelle wird daher gebeten, die Gründung eines Bündnisses „Für den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe“ zu initiieren, um im breiten Schulterschluss mit allen beteiligten Akteuren wie den Spitzenverbänden der Feuerwehren und der Hilfsorganisationen darauf hinzuwirken, dass die Kompetenz der Länder für den Rettungsdienst uneingeschränkt erhalten und der Rettungsdienst kommunale Aufgabe des eigenen Wirkungskreises bleibt.“

 

Die Geschäftsstelle des NLT hat daraufhin am 6.9.2019 im Rahmen einer Pressekonferenz im Anschluss an das Landräte-Seminar des Niedersächsischen Landkreistages in Hannover den Aufruf zur Gründung eines Bündnisses mit dem Titel „Rettet die 112 und den Rettungsdienst – Bündnis für den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe“ vorgestellt und seine Mitglieder aufgefordert, dem Gründungsappell des Bündnisses beizutreten und den Beitritt öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren, um insbesondere den Landtags- und Bundestagsabgeordneten und der Fachöffentlichkeit die Bedeutung der geplanten Grundgesetzänderung und die faktische Beseitigung des Rettungsdienstes als Selbstverwaltungsaufgabe zu verdeutlichen. Der Gründungsaufruf ist als Anlage beigefügt.

 

Das Bündnis fordert:

 

Ø  Der konkrete Patientennutzen und nicht Macht- und Geldverschiebungen zwischen Bund und Ländern müssen im Zentrum von Veränderungen bei der Notfallversorgung stehen.

Ø  Eine Grundgesetzänderung mit dem Ziel, dem Bund Zuständigkeiten im Rettungsdienst zu überlassen, wird strikt abgelehnt. In den Worten des Bundesrates: Die föderale Struktur sichert die passgenaue Versorgung und ist Motor für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens. Der Rettungsdienst muss daher als Landes- und Kommunalaufgabe erhalten bleiben. Er ist vielerorts Aufgabe der Städte und Landkreise im eigenen Wirkungskreis, die den Spielraum für effiziente Organisationsformen genutzt haben. Zentrale Vorgaben aus Berlin brauchen wir nicht. Eine weitere Aushöhlung der Staatlichkeit der Länder im Bereich der Gefahrenabwehr muss verhindert werden.

Ø  Der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Reform der Notfallversorgung muss vollständig zurückgezogen und durch einen fairen Zukunftsdialog unter gleichberechtigter Beteiligung der Innenressorts der Länder, der Kommunen, der Feuerwehren und der Hilfsorganisationen ersetzt werden. Der jetzt vorgelegte Diskussionsentwurf vernachlässigt Zusammenhänge mit dem Brand- und Katastrophenschutz bei der Hilfe für die Bürger vor Ort (Stichwort: aufwachsende Lagen) und löst die Probleme der Patienten nicht. Stattdessen muss die Schnittstelle zwischen hausärztlichem Notdienst und Rettungsdienst verbessert werden.

Ø  Regelungen zu Versorgung, Qualität, Planung und Kostentragung im Rettungsdienst sind Ländersache und müssen es auch bleiben. Die Landeszuständigkeit für den Rettungsdienst hat sich seit Jahrzehnten bewährt, weil örtliche Mitbestimmung statt zentraler bundesweiter Vorgaben für jede Region die beste Lösung zur Organisation der Rettung darstellt. So ist viel an Fortschritt erreicht worden. Jede Veränderung der Kostentragung im Rettungsdienst durch den Bund sowie fachliche Vorgaben für den Rettungsdienst machen das System schwerfälliger, bürokratischer und fehleranfälliger.

Ø  Bundesweite Vorgaben für Leitstellen und eine Gefährdung der 112 lehnen wir ab. Unsere Notfallleitstellen sind der Dreh- und Angelpunkt der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr vor Ort mit engem Draht zur Feuerwehr und Schnittstellen zu allen wichtigen Akteuren. Die Kenntnis der Topografie vor Ort ist für eine sachgerechte Disposition unverzichtbar. Sie wollen aber keine Servicehotline für alle Probleme des bundesdeutschen Gesundheitssystems sein. Wer 112 wählt, muss auch in Zukunft darauf vertrauen, nicht erst in einer digitalen Warteschleife zu hängen, sondern braucht schnell professionell vermittelte Hilfe.

 

Warum ein Bündnis?

 

Im Rettungsdienst arbeiten viele Menschen und Organisationen seit Jahrzehnten erfolgreich zum Schutz der Bevölkerung zusammen und haben ungezählte Leben gerettet. Ein funktionierender Rettungsdienst ist wertvoller Teil der Gefahrenabwehr der Länder und kommunale Aufgabe der Daseinsvorsorge. Gemeinsam mit der Feuerwehr und dem Katastrophenschutz bildet der Rettungsdienst mit unseren Leitstellen ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Rettung aller Menschen aus Lebensgefahren. Dieses erfolgreiche und ortsnahe System mit vielen hunderttausenden ehrenamtlich Aktiven in den Hilfsorganisationen darf nicht durch Zentralisierung und Entzug von Finanzmitteln gefährdet werden.

 

 

 

 


Anlage:

 

Gründungsaufruf „Rettet die 112 und den Rettungsdienst – Bündnis für den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe“