Beschlussvorschlag:
Dem Kreistag wird
folgende Beschlussfassung empfohlen:
Der Landkreis
Cloppenburg tritt dem Bündnis „Rettet die 112 und den Rettungsdienst – Für den
Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe“ bei.
Sach- und Rechtslage:
Das
Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat kürzlich einen Diskussionsentwurf für
ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung an die Gesundheitsministerien der
Länder verschickt. Wesentliche Ziele und Regelungen des Gesetzesentwurfs sind:
1.)
Es sollen sogen. gemeinsame Notfallleitstellen
(GNL) errichtet werden. Diese GNL sollen von den Ländern unter Beteiligung der
Kassenärztlichen Vereinigungen durch die verbindliche Zusammenarbeit der
Rufnummern 112 und 116 117 geschaffen werden. Dabei soll es ein gemeinsames und
verbindliches Verständnis zur Einschätzung der Dringlichkeit des medizinischen
Versorgungsbedarfs und der Disposition der erforderlichen medizinischen
Versorgung geben. GNL disponieren sowohl rettungsdienstliche als auch
bereitschaftsdienstliche Strukturen, ggf. auch durch telemedizinische
Leistungen.
2.)
Es sollen integrierte Notfallzentren (INZ) als
jederzeit zugängliche Einrichtungen der medizinischen Notfallversorgung
geschaffen werden. Diese führen nach Eintreffen des Hilfesuchenden eine
qualifizierte Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfs und die vor Ort aus
medizinischer Sicht unmittelbar erforderliche ambulante Notfallversorgung
durch. Diese INZ sollen von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den
Krankenhäusern gemeinsam errichtet und betrieben sowie räumlich derart in ein
Krankenhaus eingebunden werden, dass sie von den Patienten als erste
Anlaufstelle im Notfall wahrgenommen werden. Die Länder übernehmen dabei die
zentrale Rolle zur Planung und Gestaltung der integrierten medizinischen
Notfallversorgung in Deutschland und berücksichtigen dabei die bestehenden Strukturen
des vertragsärztlichen Notdienstes, insbesondere die vielfach eingerichteten
sogen. Portalpraxen.
3.)
Das BMG will den Rettungsdienst als eigenständigen Leistungsbereich der gesetzlichen
Krankenversicherung im SGB V einfügen. Hierdurch soll er als eigenständige
medizinische Leistung anerkannt und unabhängig von der Inanspruchnahme anderer
Leistungen der GKV gewährt werden.
4.)
Die Weitentwicklung des Rettungsdienstes als
eigenständiger Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung erfordert
eine Koordination von Rettungsdienst und anderen Einrichtungen der
medizinischen Notfallversorgung. Hierdurch sind nach Auffassung des BMG
bundesweite Rahmenvorgaben sowie eine Aufteilung der
Finanzierungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern erforderlich. Daher soll
in Art. 74 GG die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf den Rettungsdienst
ausgeweitet werden.
Das Präsidium des
NLT hat aufgrund dessen im Rahmen seiner 644. Sitzung am 5.9.2019 in Hannover
Folgendes beschlossen:
„1. (Ablehnung Grundgesetzänderung)
Der NLT lehnt
die im Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zum Entwurf
eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung enthaltene Grundgesetzänderung,
mit der ein neuer Art. 74 Abs. 1 Nr. 12a GG als Bundeskompetenz für „die
wirtschaftliche Sicherung des Rettungsdienstes“ in die konkurrierende
Gesetzgebung aufgenommen werden soll, entschieden ab.
2. (Grundsatzkritik)
Der NLT
kritisiert, dass der Diskussionsentwurf zur Reform der Notfallversorgung zwar
einige Probleme der akuten Versorgung der Versicherten benennt, die
Hauptursache aber nicht klar benennt, nämlich das Nichtfunktionieren der
ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung und des kassenärztlichen
Notdienstes bei Eilfällen. Der Gesetzentwurf wird stattdessen unberechtigterweise
dazu genutzt, bundesrechtliche Vorgaben für den Rettungsdienst zu etablieren,
die den Rettungsdienst als kommunale Aufgabe des eigenen Wirkungskreises
faktisch beseitigen würde. Gestaltungsspielräume vor Ort und im Land würden
durch Vorgaben des Bundes erstickt.
3. (Gesamtbetrachtung des
Hilfeleistungssystems)
Die
Zusammenhänge im gesamten nichtpolizeilichen Hilfesystem vor Ort müssen bei
jeder Reform der Notfallversorgung umfassend mitbetrachtet werden. Der
Diskussionsentwurf ist dagegen einseitig aus dem Blickwinkel des
Bundesgesundheitssystems erarbeitet, muss vollständig zurückgezogen und
durch einen fairen Zukunftsprozess unter gleichberechtigter Beteiligung der
Innenressorts der Länder, der Kommunalen Aufgabenträger, der Feuerwehren und
der Hilfsorganisationen ersetzt werden. Dabei muss der konkrete Patientennutzen
im Vordergrund stehen.
4. (Kostentragung und
Bedarfsplanung)
Allein die
vorgesehene Überwälzung der Investitionskosten des Rettungsdienstes auf die
Länder würde für Niedersachsen den Entzug von Finanzmitteln der
gesetzlichen Krankenversicherungen in Höhe von wohl bis zu ca. 500 Mio. € pro
Jahr bedeuten. Dies wird abgelehnt, weil es sich um Kosten handelt, die auch
weiterhin von den Versicherten zu tragen sind. Auch bundesweite Vorgaben für
die Planung von Rettungswachenstandorten oder landeseinheitliche Kostentarife
nebst Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses würden den Einfluss der
Kostenträger gegenüber der seit 1992 bewährten Rechtslage des NRettDG massiv
ausweiten und kommunale Gestaltungsspielräume der niedersächsischen
Landkreise und der Region Hannover sowie das bewährte Zusammenwirken aller
Akteure im Landesausschuss Rettungsdienst faktisch abschaffen.
5. (Koordination von 112 und
116117 in kommunaler Hand)
In
Übereinstimmung mit der bisherigen Beratungs- und Beschlusslage auch des
Deutschen Landkreistages hält der NLT es für sinnvoll, künftig in den
kommunalen Rettungsleitstellen, die weiterhin Einrichtungen des eigenen
Wirkungskreises der Landkreise und der Region Hannover bleiben müssen, das
Bedürfnis nach Akutbehandlungen (bisher unter der Rufnummer 116117 abgebildet)
und die Hilfe bei lebensbedrohlichen Notfällen (Rufnummer 112) gemeinsam unter
kommunaler Federführung freiwillig zu administrieren. Um dieses Anliegen
mit konkretem Patientennutzen umzusetzen, sind weite Teile des Gesetzentwurfs
und insbesondere die vorgesehenen diffusen Bestimmungen zu Gemeinsamen
Notfallleitstellen (GNL) nicht notwendig und werden abgelehnt. Notwendig sind
allein Regelungen zur verbesserten optionalen Disposition des kassenärztlichen
Bereitschaftsdienstes durch die kommunalen Leitstellen. Die Übernahme von Aufgaben
der Terminservicestellen im Bereich der nicht akuten
Facharztterminvermittlung gefährdet den Charakter der Leitstellen als
Einrichtungen der Notfallrettung und wird abgelehnt.
6. (Gründung eines
Bündnisses für den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe)
Wegen des engen Zusammenhangs
und der Bedeutung des Rettungsdienstes und seiner Leitstellen für die kommunale
Daseinsvorsorge und Gefahrenabwehr besteht ein hohes Interesse, dass in der
aktuellen Diskussion durch den Bund die Aspekte der kommunalen Gefahrenabwehr,
des Brand- und Katastrophenschutzes nicht weiter ausgeblendet werden. Zudem ist
eine weitere Aushöhlung der Staatlichkeit der Länder durch Vorgaben des Bundes
für den Bereich der Organisation der Daseinsvorsorge und Gefahrenabwehr aus
grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen und zur Verbesserung der medizinischen
Notfallversorgung auch nicht notwendig.
Die
Geschäftsstelle wird daher gebeten, die Gründung eines Bündnisses „Für den
Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe“ zu initiieren, um im
breiten Schulterschluss mit allen beteiligten Akteuren wie den Spitzenverbänden
der Feuerwehren und der Hilfsorganisationen darauf hinzuwirken, dass die
Kompetenz der Länder für den Rettungsdienst uneingeschränkt erhalten und der
Rettungsdienst kommunale Aufgabe des eigenen Wirkungskreises bleibt.“
Die
Geschäftsstelle des NLT hat daraufhin am 6.9.2019 im Rahmen einer
Pressekonferenz im Anschluss an das Landräte-Seminar des Niedersächsischen
Landkreistages in Hannover den Aufruf zur Gründung eines Bündnisses mit dem
Titel „Rettet die 112 und den Rettungsdienst – Bündnis für den Rettungsdienst
als Landes- und Kommunalaufgabe“ vorgestellt und seine Mitglieder aufgefordert,
dem Gründungsappell des Bündnisses beizutreten und den Beitritt
öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren, um insbesondere den Landtags- und
Bundestagsabgeordneten und der Fachöffentlichkeit die Bedeutung der geplanten
Grundgesetzänderung und die faktische Beseitigung des Rettungsdienstes als
Selbstverwaltungsaufgabe zu verdeutlichen. Der Gründungsaufruf ist als Anlage
beigefügt.
Das Bündnis
fordert:
Ø Der konkrete Patientennutzen und nicht Macht- und
Geldverschiebungen zwischen Bund und Ländern müssen im Zentrum von
Veränderungen bei der Notfallversorgung stehen.
Ø Eine Grundgesetzänderung mit dem Ziel, dem Bund
Zuständigkeiten im Rettungsdienst zu überlassen, wird strikt abgelehnt. In den Worten des
Bundesrates: Die föderale Struktur sichert die passgenaue Versorgung und ist
Motor für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens. Der Rettungsdienst muss
daher als Landes- und Kommunalaufgabe erhalten bleiben. Er ist vielerorts
Aufgabe der Städte und Landkreise im eigenen Wirkungskreis, die den Spielraum
für effiziente Organisationsformen genutzt haben. Zentrale Vorgaben aus Berlin
brauchen wir nicht. Eine weitere Aushöhlung der Staatlichkeit der Länder im
Bereich der Gefahrenabwehr muss verhindert werden.
Ø Der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums
zur Reform der Notfallversorgung muss vollständig zurückgezogen und durch einen
fairen Zukunftsdialog unter gleichberechtigter Beteiligung der Innenressorts
der Länder, der Kommunen, der Feuerwehren und der Hilfsorganisationen ersetzt
werden. Der jetzt vorgelegte Diskussionsentwurf vernachlässigt Zusammenhänge
mit dem Brand- und Katastrophenschutz bei der Hilfe für die Bürger vor Ort
(Stichwort: aufwachsende Lagen) und löst die Probleme der Patienten nicht.
Stattdessen muss die Schnittstelle zwischen hausärztlichem Notdienst und
Rettungsdienst verbessert werden.
Ø Regelungen zu Versorgung, Qualität, Planung und Kostentragung
im Rettungsdienst sind Ländersache und müssen es auch bleiben. Die
Landeszuständigkeit für den Rettungsdienst hat sich seit Jahrzehnten bewährt,
weil örtliche Mitbestimmung statt zentraler bundesweiter Vorgaben für jede
Region die beste Lösung zur Organisation der Rettung darstellt. So ist viel an
Fortschritt erreicht worden. Jede Veränderung der Kostentragung im
Rettungsdienst durch den Bund sowie fachliche Vorgaben für den Rettungsdienst
machen das System schwerfälliger, bürokratischer und fehleranfälliger.
Ø Bundesweite Vorgaben für Leitstellen und eine
Gefährdung der 112 lehnen wir ab. Unsere Notfallleitstellen sind der Dreh-
und Angelpunkt der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr vor Ort mit engem Draht
zur Feuerwehr und Schnittstellen zu allen wichtigen Akteuren. Die Kenntnis der
Topografie vor Ort ist für eine sachgerechte Disposition unverzichtbar. Sie
wollen aber keine Servicehotline für alle Probleme des bundesdeutschen
Gesundheitssystems sein. Wer 112 wählt, muss auch in Zukunft darauf vertrauen,
nicht erst in einer digitalen Warteschleife zu hängen, sondern braucht schnell
professionell vermittelte Hilfe.
Warum ein Bündnis?
Im Rettungsdienst
arbeiten viele Menschen und Organisationen seit Jahrzehnten erfolgreich zum
Schutz der Bevölkerung zusammen und haben ungezählte Leben gerettet. Ein
funktionierender Rettungsdienst ist wertvoller Teil der Gefahrenabwehr der
Länder und kommunale Aufgabe der Daseinsvorsorge. Gemeinsam mit der Feuerwehr
und dem Katastrophenschutz bildet der Rettungsdienst mit unseren Leitstellen
ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Rettung aller Menschen aus Lebensgefahren.
Dieses erfolgreiche und ortsnahe System mit vielen hunderttausenden
ehrenamtlich Aktiven in den Hilfsorganisationen darf nicht durch
Zentralisierung und Entzug von Finanzmitteln gefährdet werden.
Anlage:
Gründungsaufruf „Rettet die 112 und den Rettungsdienst – Bündnis für den Rettungsdienst als Landes- und Kommunalaufgabe“