Betreff
Antrag der Gruppe GRÜNE/UWG auf Schaffung eines Frauenhauses für den Landkreis Cloppenburg
Vorlage
V-SOZ/18/073
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Sozialausschuss empfiehlt dem Kreistag zu beschließen, dass die aktuellen politischen Entwicklungen auf Bundes- und Landesebene zur Umsetzung der Istanbul-Konvention durch den neu installierten Runden Tisch „Häusliche Gewalt“ zunächst einmal in ihren Auswirkungen auf die kommunalen Hilfestrukturen evaluiert und begleitet werden, um ggf. über die Notwendigkeit der Implementierung zusätzlicher Angebote, wie z. B. eines Frauenhauses im Landkreis Cloppenburg, zu beraten.


Sachverhalt:

 

Die Gruppe Grüne/UWG hat mit Schreiben vom 21.02.2018 den Antrag auf Schaffung eines Frauenhauses für den Landkreis Cloppenburg mit folgendem Beschlussvorschlag gestellt:

„Für den Landkreis Cloppenburg wird ein Frauenhaus geschaffen. Vorzusehen sind Kapazitäten für mindestens 17 Familien, die neben der räumlichen Ausstattung eine entsprechende sozialpädagogische Betreuung, hauswirtschaftliche Unterstützung und tagesbegleitende Betreuung beinhalten.“

 

Zur Begründung ihres Antrags bezieht sich die Gruppe Grüne/UWG auf einen Bericht des NDR vom 18.02.2018, in dem nach dessen Recherche zum Thema Frauenhäuser ein Fehl von über 2.600 Frauenhausplätzen in Niedersachsen festgestellt und veröffentlicht worden war. Der Landkreis Cloppenburg ist einer von 9 niedersächsischen Landkreisen, in denen kein Frauenhaus oder eine Frauenschutzwohnung im Kreisgebiet vorhanden ist.

 

„Im Abschlussbericht der Task Force des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (EG-TFV (200806)) wird eine sichere Unterkunft für Frauen in Frauenhäusern empfohlen, die auf alle Regionen verteilt sind und eine Familie pro 10.000 Einwohner aufnehmen können.“ [1] Auf diese Zahlen beziehen sich die Berechnungen im Antrag der Gruppe Grüne/UWG, wonach bei der gerundeten Anzahl von Einwohnerinnen und Einwohnern von 170.000 im Landkreis Cloppenburg demnach 17 Plätze in einem zu schaffenden Frauenhaus zur Verfügung stehen sollten.

 

Der Deutsche Bundestag hat am 17.07.2017 das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt („Istanbul-Konvention“) unterzeichnet und das „Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarates vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention)“ ist am 01.02.2018 in Kraft getreten. Das Übereinkommen enthält umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter.

Mit dem Inkrafttreten des oben genannten Gesetzes ist das wichtige und aktuelle Thema häusliche Gewalt erneut in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Das momentan zur Verfügung stehende diesbezügliche Hilfesystem auf Bundes-, Landes- und Landkreisebene ist in Bezug auf mögliche weitere Bedarfe durchaus differenziert zu betrachten.

 

Die Hilfestrukturen für Frauen, die von häuslicher Gewalt/Partnergewalt betroffen sind, wurden seit Anfang der 2000 Jahre insbesondere im niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfebereich qualitativ und quantitativ auf allen Ebenen flächendeckend ausgebaut.

 

Niedrigschwellige Hilfen/Zivilrecht - ein Überblick über die wesentlichen Bundes- und Landesmaßnahmen:

 

·         2002 Gewaltschutzgesetz

Das am 1.1.2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz schafft eine klare Rechtsgrundlage: "Wer schlägt, muss gehen" (Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung).

 

·         2005/2006 Einrichtung der BISS (Beratungs- und Interventionsstellen bei häusliche Gewalt)

o   Durch das Land Niedersachsen flächendeckend eingerichtet und gefördert.

 

·         2013 Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bundesweit

o   Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag erreichbar und mit ausgewiesenen Fachkräften besetzt. Die Beratung kann in 17 verschiedenen Sprachen erfolgen und steht sowohl betroffenen Frauen, unterstützenden Personen und Fachkräften zur Verfügung. Kenntnisse über die jeweils kommunalen Hilfeangebote liegen vor. Inzwischen haben sich ca. 143.000 Ratsuchende in das Hilfetelefon gewandt.

Landkreis Cloppenburg:

 

·         1999 Einrichtung des Frauennotrufes angegliedert an den Sozialdienst katholischer Frauen e. V. in Cloppenburg

 

·         Ab dem 01.02 2001 Übernahme der Trägerschaft des Frauennotrufes und der offenen Frauenberatung durch den Verein „Frauentelefon und Frauennotruf Landkreis Cloppenburg e. V.“

 

·         2006 offiziell BISS Cloppenburg-Vechta (Beratungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt für die Polizeiinspektion Cloppenburg-Vechta in Trägerschaft des Frauennotrufes e. V.) gefördert vom Land Niedersachsen

 

·         Ab 01/2018 Übergang des Frauennotrufes und der offenen Frauenberatung und der BISS in die Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes Kreisverband Cloppenburg e. V., Ausweitung der Beratungsmöglichkeiten, Umbenennung der Beratungsstelle in „Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt“

 

Die fast 20jährige intensive Beratungs- und Vernetzungsarbeit des Frauennotrufes bzw. der Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt haben maßgeblich zu einer Sensibilisierung für das Thema häusliche Gewalt/Partnergewalt im Landkreis Cloppenburg beigetragen. Die Verankerung der Hilfemöglichkeiten im öffentlichen Bewusstsein und die konstruktive Zusammenarbeit und Vernetzung aller mit dem Thema befassten Institutionen und Beratungsstellen ist im Landkreis Cloppenburg als gut zu bezeichnen. Auch aus Sicht der betroffene Frauen ist in vielen Fällen eine Sensibilisierung dafür erreicht worden, dass die Gewalt, die sie durch Partner oder Ex-Ehemann erleiden, ein Unrecht und strafbar ist und dass es Unterstützungsmöglichkeiten gibt, um die Gewaltspirale zu durchbrechen.

 

Die niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfeangebote (siehe auch Flyer „Hilfe für Frauen bei Bedrohung und Gewalt“, hrsg. von der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Cloppenburg in Zusammenarbeit mit den Gleichstellungsbeauftragten der Städte Delmenhorst und Oldenburg sowie der Landkreise Ammerland und Wesermarsch) greifen auf kommunaler Ebene so ineinander, dass gewaltbetroffene Frauen Unterstützung auf vielen Ebenen erhalten, um sich vor der häuslichen Gewalt zu schützen, bzw. die Gewaltsituation für sich und ggf. mitbetroffene Kinder beenden zu können. Durch das Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes und die Option, auch zivilrechtlich gegen die häusliche Gewalt, bzw. Partnergewalt vorgehen zu können, sind seit 2002 komplett andere Handlungsmöglichkeiten entstanden, im Sinne von „das Opfer bleibt, der Täter geht“.

 

Nicht in allen Fällen häuslicher Gewalt ist der Schutz durch das Gewaltschutzgesetz und die Inanspruchnahme von Opferberatungsstellen jedoch ausreichend. Dann kann das Aufsuchen eines Frauenhauses dem Schutz von Leib und Leben dienen und die Anonymität und die umfassende Betreuung dort helfen, Auswege aus einer solchen Krise zu finden.

 

Laut Statistik des Sozialamtes des Landkreises Cloppenburg haben in den Jahren 2015-2017 insgesamt 64 Frauen im SGB II-Bezug mit 87 Kindern ein Frauenhaus aufgesucht. Heruntergebrochen auf die einzelnen Jahre sehen die Zahlen wie folgt aus: 2015: 28 Frauen mit 33 Kindern, 2016: 20 Frauen mit 31 Kindern, 2017: 16 Frauen mit 23 Kindern. 2015 und 2016 waren das Frauenhaus in Vechta und die entsprechende Schutzeinrichtung in Delmenhorst jeweils zu einem Drittel Hauptbelegungsort. Im Jahr 2017 hat knapp die Hälfte der betroffenen Frauen mit ihren Kindern im Vechtaer Frauenhaus Schutz gefunden. Darüber hinaus haben regionale und auch überregionale Schutzeinrichtung Frauen mit ihren Kindern aus dem Landkreis Cloppenburg aufgenommen. Die durchschnittliche Verweildauer im Frauenhaus betrug 2015 93 Tage, 2016 45 Tage und 2017 66 Tage.

 

Nach Rücksprache mit der Leiterin des Frauenhauses Vechta in Trägerschaft des Sozialdienstes kath. Frauen e. V. betrug dort die durchschnittliche Auslastung im Jahr 2015 69 %, 2016 86 % und 2017 60 %. Es käme auch vor, dass in Zeiten voller Belegung eine Frau abgewiesen werden müsste, diese wäre bislang dann auf Vermittlung der Frauenhausmitarbeiterinnen in einem anderen Frauenhaus aufgenommen worden.

 

Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann stellte am 22.02.2018 im Ausschuss des Niedersächsischen Landtages fest, dass die Auslastung der Frauenhäuser im landesweiten Vergleich vollkommen unterschiedlich sei. Sie reiche von 30 % – 100 %.

 

Differenziert zu betrachten ist in diesen Zusammenhang sicherlich auch das Zusammenspiel von ländlich und städtisch geprägtem Raum und die Frage der möglichen Anonymität. Da gerade in besonders bedrohlichen Gewaltbeziehungen, die u.U. eine Gefahr für das Leben der Betroffenen darstellen, Schutz in einem Frauenhaus gesucht wird, hat die Anonymität der Schutzeinrichtung und die Distanz zum Wohn- und Lebensumfeld des Opfers häufig einen existenziellen Stellenwert. Diese Anonymität kann nur ein städtisches, wenn gar ein großstädtisches Frauenhaus bieten. Nach Aussage der Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt Cloppenburg wollen hiesige Frauen zumeist in einem auswärtigen Frauenhaus untergebracht werden, dass für den Täter und deren Familien nicht so leicht auszumachen ist, dessen Anonymität im Idealfall gewahrt bleibt. Im ländlichen Raum ist dies so gut wie unmöglich.

 

Im Landkreis Cloppenburg waren 2016 449 Fälle von häuslicher Gewalt und 47 Fälle von Stalking im sog. Hellfeld der Polizeistatistik aufgeführt. Im Jahre 2017 wurde 401 Fälle von häuslicher Gewalt und 10 Fälle von Stalking polizeilich bekannt gegeben.

 

Für diese Betroffenen sind selbstverständlich wirksame Schutzmaßnahmen bereit zu stellen. Für betroffene Frauen im Landkreis Cloppenburg und Multiplikator/innen, die sie begleiten, hat die Arbeit der BISS- Beratungsstelle für die Polizeiinspektion Cloppenburg-Vechta einen hohen Stellenwert. Der dort praktizierte „pro-aktive“ Ansatz und die enge Zusammenarbeit mit der Polizeiinspektion ist hilfreich und präventiv zugleich.  Im Zuge der Neustrukturierung der Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt und der BISS jetzt in Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes haben zwischen der Frauenberatung und der Polizei erste Planungen zur Einrichtung eines „Runden Tisches Häusliche Gewalt“ stattgefunden, der sich im Sommer 2018 konstituieren soll und an dem alle mit dem Thema befassten Institutionen und auch die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises beteiligt werden sollen. Dieses Vorhaben ist ausdrücklich zu begrüßen. Wünschenswert wäre eine Einbeziehung des Vechtaer Frauenhauses, da die BISS auch für den Landkreis Vechta zuständig ist und dies Frauenhaus häufig von schutzbedürftigen Frauen aus dem Landkreis Cloppenburg in Anspruch genommen wird. Bereits besprochen wurde zwischen Frauenberatung bei Bedrohung und Gewalt und der Polizei das Verfahren zur Behandlung von sog. Hochrisikofällen, das in Anlehnung an das sog. Osnabrücker Modell auch mit fallinvolvierten Akteuren des Runden Tisches bearbeitet werden soll.

 

Als weitere Maßnahme im Zusammenhang mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention hat die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbüros Niedersachsen (lag) in einer Pressemitteilung vom 14.03.2018  die Ministerin Carola Reimann aufgefordert ein neues Landesaktionsprogramm aufzustellen, das Schritte für die Umsetzung des Schutzes von Frauen und Mädchen formuliert. In diesem Aktionsprogramm soll laut lag auch eine Koordinierungsstelle auf Landesebene vorgesehen werden. Auch ein Ampelsystem, wie bereits in NRW erprobt und erfolgreich, kann in diesem Zusammenhang Sinn machen. Auf einer Internetkarte könnten Plätze in Frauenhäuser mit rot=belegt, gelb=frei, und grün=frei mit Kindern gekennzeichnet sein. Somit wäre mehr Koordination und Transparenz bei der Suche nach einem Frauenhausplatz gegeben.

Unklar bleibt auch in Zusammenhang mit dem Bericht des NDR, wie das Fehl von 2.600 Frauenhausplätzen errechnet worden ist und ob nicht Doppelzählungen auf Grund von Anfragen einer Betroffenen, MultiplikatorInnen oder involvierten Beratungsstellen in mehreren Frauenhäusern zu der genannten Anzahl an Fehlplätzen geführt haben. Auch diesbezüglich könnten im Rahmen eines Landesaktionsprogramms genaue Bestands- und Bedarfsanalysen erhoben werden.

 

Bei der Auswertung der Belegdauer bzw. der Recherche von freien Plätzen in Frauenhäusern niedersachsenweit muss aktuell auch das schwierige „Entlassungsmanagement“ aus den Schutzeinrichtungen in die Bestandsaufnahme und Analyse der Situation einbezogen werden. Auch ist die Verweildauer im Frauenhaus allgemein deutlich gestiegen, da die Lage auf dem Wohnungsmarkt sehr angespannt ist und der Wohnungsmarkt insbesondere für die betroffenen Frauen und ihre Kinder schwer zugänglich ist.

 

Bezogen auf den Landkreis Cloppenburg wird neben institutionellem Schutz und Hilfen der noch stärkere Ausbau der präventiven Maßnahmen wichtig sein. Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarates vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention)“ am 01.02.2018 ist begrüßenswerter Weise eine neue Dynamik in das hochaktuelle Thema „häusliche Gewalt“ gekommen, dass auf Bundes- und Landesebene und auch auf kommunaler Ebene neue Handlungsansätze erfordert und hervorbringen wird. Diese gilt es auf Landkreisebene im Rahmen des sich im Aufbau befindenden Runden Tisches konstruktiv zu begleiten und zu steuern und auch hier ggf. neue Maßnahmen zu initiieren oder neue Kooperationsmodelle, ev. auch über Landkreisgrenzen hinweg zu installieren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollten die aktuellen politischen Entwicklungen auf Bundes- und Landesebene zunächst einmal in ihren Auswirkungen auf die kommunalen Hilfestrukturen evaluiert und begleitet werden, um ggf. über die Notwendigkeit der Implementierung zusätzlicher Angebote, wie z. B. eines Frauenhauses im Landkreis Cloppenburg, zu beraten.



[1] Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarates vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 17. Juli 2017, Drucksache des Deutschen Bundestages 18/12037, S. 69


Finanzierung:


Anlagenverzeichnis:

 

Antrag der Gruppe Grüne/UWG zur Schaffung eines Frauenhauses für den Landkreis Cloppenburg

 

Flyer „Hilfe für Frauen bei Bedrohung und Gewalt